Saßen Sie schon mal in einem Bewerbungsgespräch und hatten das sichere Gefühl einem Narzissten, einem Neurotiker oder einem Psychopathen gegenüberzusitzen?

Hatten Sie schon mal einen Geschäftspartner, der sie übervorteilt hat, einen Kollegen, der sie gemobbt hat, einen Vorgesetzten, der sadistische oder masochistische Züge an den Tag legte?

All das wäre denkbar und mit Blick auf so manche Akteure der Wirtschaft und der Politik können wir bisweilen die Prototypen an ihren widersinnigen, korrupten oder destruktiven Handlungen identifizieren.

Menschenkenntnis: es gibt noch etwas zu entdecken

Menschenkenntnis für den Hausgebrauch lässt sich passabel erweitern über Berufs- und Lebenserfahrung, Kommunikationstechniken und Typenlehren wie wir ihnen zum Teil in Persönlichkeitsprofilen begegnen.

Hat sie ihre Menschenkenntnis schon mal vor einem Desaster in der Zusammenarbeit bewahrt? Wenn ja, Glückwunsch. Haben sie schon mal dank der Informationen aus Persönlichkeitsprofilen die richtige Wahl in der Personaleinstellung bei der Endauswahl getroffen? Wenn ja, weist sie das als Profi aus.

Doch dann kommen wir auch schon an unsere Grenzen, denn Menschenkenntnis nützt dort nichts mehr, wo wir auf Situationen treffen, bei denen die Taktung, das Geschehen und das Handeln fremdgesteuert ist. Wenn es wider die Vernunft, die Menschlichkeit, die guten Sitten und ein auskömmliches Miteinander läuft. Die vollkommen schrägen Fälle im Leben eben. Wir erleben dies gegenüber dem einen oder anderen Geschäftspartner und in der Politik, die nicht unsere Zustimmung trifft. Ganz im Gegenteil wird dann sogar Menschenkenntnis hinderlich und zu viel davon macht einsam.

Manch einer unserer Mitmenschen ist ein Sorgenkind in der Menschheitsfamilie und unser Einfluss ist Null. Mit einem Quäntchen mehr Menschenkenntnis als der Durchschnitt sehen und erkennen wir mehr als uns guttut. Menschenkenntnis kann zum Segen im näheren Umfeld und zum Fluch im Verhältnis zur Gesellschaft werden, auf die wir keinen Einfluss haben.

Manchmal mehr Fragen als Antworten

Warum aber sind Menschen bisweilen offensichtlich sozial unverträglich, um es mal vorsichtig auszudrücken? Und warum ist in nicht wenigen Fällen sowohl die Hoffnung auf die Psychologie vergebens wie der Dialog mit Beratern, Coaches und anderen Bezugspersonen?

Die Antwort findet sich in einer geschädigten Psyche, die den Akteuren oft selbst gar nicht bewusst ist. Wir sprechen hier von Traumata als einem kollektiven Phänomen unserer Gesellschaft. Einem Tabu-Thema wenn man so will. Traumaerfahrungen in frühester Kindheit sind weit verbreitet und kommen viel häufiger vor, als wir gemeinhin annehmen. Wer nicht gewollt, und oder nicht geliebt und nicht geschützt wurde, entwickelt Überlebensstrategien, um die gesunden Anteile seiner Psyche zu schützen. Ganz bei sich selbst ist er dadurch nicht mehr, aber er funktioniert. Zu einer Entfaltung der Identität kommt es dabei nicht mehr, hingegen wird die Identifizierung mit anderen Personen oder Institutionen (Fan kommt hier von Fanatiker) unterstützt. Die Entfremdung vom eigenen Selbst ist das Ergebnis des Verlustes von Urvertrauen.

Nur wer von sich selbst entfremdet ist, verhält sich anderen gegenüber destruktiv. Wäre er nicht entfremdet, würde er erkennen, dass wir als Menschenfamilie miteinander verbunden sind. Das Wohl des anderen wäre ihm nicht gleichgültig. Sein Einfühlungsvermögen lässt ihn die Spiegelung des eigenen ICH im DU des anderen empfinden. „Du bist mein anderes Ich; ich bin Dein anderes Du. Was ich Dir antue, tue ich mir an.“ (Armin Risi)

Eine gute und eine schlechte Nachricht

Kann man den traumatisierten Opfern und auch den traumatisierenden Tätern helfen?

Ja, lautet die gute Nachricht.

In den richtigen Händen eines Traumatherapeuten kann mit der Gesundung der Psyche in einer kurzen Zeit gerechnet werden. Problem nur, und jetzt kommen wir auch schon zur schlechten Nachricht, richten sie keine Appelle an den jeweiligen Personenkreis, er könnte aggressiv reagieren. Und auch nur, wenn sie das Thema als Problem oder Herausforderung ansprechen, ist mit Widerstand zu rechnen. Traumaopfer oder -Täter müssen von sich aus Interesse entwickeln ihre Psyche zu heilen.

Ein spannendes Thema also, das hier nur mal angerissen wurde. Wenn ich ihr Interesse wecken konnte, dann ist die Literatur von Prof. Dr. Franz Ruppert sehr zu empfehlen. Sein Buch, „Wer bin Ich in einer traumatisierten Gesellschaft“ halte ich für überaus lesenswert und so aufschlussreich, dass es in meinem persönlichen Ranking gelesener, wertvoller Bücher ganz weit oben steht. Gerne hätte ich diese Informationen schon vor Jahr und Tag gehabt, dann hätte ich mich nicht so oft gewundert …

Personaler/Entscheider sind dafür bekannt, dass sie über eine gute Menschenkenntnis verfügen. Von daher viel Erfolg in der Erweiterung Ihrer bereits bestehenden Menschenkenntnis wünscht Ihnen Ihr Autor dieses Blogs Norbert W. Schätzlein, 27.07.2020

E-Mail zum Autor: schaetzlein@siris-systeme.de

Literaturtipp:

„>Ruppert, Franz: Wer bin Ich in einer traumatisierten Gesellschaft? Wie Täter-Opfer-Dynamiken unser Leben bestimmen und wie wir uns daraus befreien; 3. Aufl., Stuttgart: Klett-Cotta, 2018

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Bildquelle: Pixabay – SVG

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