Wenn Oma fragt: „Min Jung, was machst Du denn jetzt beruflich?“ und Kevin antwortet:

„Yo, grandma´, ich bin jetzt Senior Consultant (w/m/d) Agile Transformation Programs im Supply Chain and Operations Advisory”, dann ist das ja schon normal. Vielleicht auch so gewollt. Je unverständlicher die Titel, desto weniger kann man jemanden nachweisen, dass m/w/d seinen Job nicht erledigt, denn keiner weiß, was m/w/d überhaupt hier macht und warum m/w/d überhaupt hier ist.

Aber nicht  nur die Titel, auch die Texte werden zunehmend skurriler. Bullshit-Bingo kommt da in den Sinn. Bei der hier beispielhaft vorgestellten Anzeige (und sie stellt keine Ausnahme dar!) könnte man dann schon mal fragen, was da passiert ist, bevor jemand sagte: “Bitte online stellen!” (Nein, sorry, vermutlich eher: „Hey, magst Du diese job ad mal online posten? Sie ist ja so was von flashing, ich bin selbst völlig shocked!“)

Also: Was ist bloß vorher passiert?

  1. HR hat zu viele Bücher über die Generation X,Y,Z gelesen. Man versucht, so viele cool klingende Begriffe wie möglich in einen Satz aufzuzählen, ordentlich (deutsche) Satzzeichen- und Rechtschreibfehler einzubauen, damit der potentielle Bewerber denkt, WOW! Was kennen die für Wörter! Und Deutsch muss man auch nicht können! Sie sind so international! So nahbar mit dem DU! …. Aber: Was wollen sie mir sagen?
  2. Man überlegt, was der potenzielle Stelleninhaber können muss und beschreibt verständlich das Anforderungsprofil, damit auch der eventuell betroffene künftige Stelleninhaber weiß, was auf ihn zukommt, was ihn erwartet und ob er die Anforderungen überhaupt erfüllen kann und will.
  3. Man macht sich lächerlich und versucht krampfhaft, sein abgestorbenes Image als Versicherung aufzupeppen, indem man locker das „Du“ mit Anglizismen so überpimpt, diese bis zur Unkenntlichkeit mischt und, von der eigenen Passion überollt, den ganzen Müll in einer Stellenanzeige auskippt.
  4. Die meinen es ernst! Die sprechen tatsächlich so!

Lösung: Es ist: d).

Das abgebrochen-traurige linguistische Mind-Set zieht sich nachweislich durch alle Etagen. Auf kununu schreibt man zum Beispiel >>Seltsame town halls wo mal eben verkündet wird das jeder 4 fliegt… bei fragen wurde dann die Kamera / Aufzeichnung gestoppt… wieso wohl?<<  Oder:>>Aufstiegschancen gibt es idr nicht. Qualifikationen werden bewusst übersehen. HR ist häufig inkompetent, hat zu viel Macht und lügen einem ins Gesicht. Arbeit wird ins Ausland outgesourced.<<

Man fragt sich dann auch ganz nebenbei, wie überhaupt noch Versicherungen verkauft werden. In meiner Vorstellung läuft das Beratungsgespräch mit einer 70-jährigen Kundin dann etwas so ab: >>Ey, unser Credo der internationalen Markenkampagne ist so was von abgefahrn:Know You Can!!“ Denn wenn Work-Live-Balance bei Dir nicht mehr funzt und Du Dich wrackig fühlst.. gönn´ Dir eine Life-Versicherung, die ist sure.<< ??

Die bittere Wahrheit

Schaut man sich etwas im Web um und möchte mehr über die cleane, coole, verglaste, upgedatete, immer auf dem neuesten Level stehenden HR-Mitarbeiter dieser kosmopolitischen, influencenden Versicherung erfahren, landet man ziemlich hart in der bitteren Realität.

Zitat: „Spontan – innerhalb von 2 Stunden – und mit wild zusammengewürfelten Mitarbeitenden aus dem HR, haben wir unsere Cover-Version in einem Take eingespielt. Für uns eine grossartige Erfahrung und sehr viel Spass ;-)… Die Freude wollen wir hier mit euch teilen.“ Aus: https://www.srf.ch/radio-srf-3/das-sind-eure-jrz-song-covers-2018, https://www.youtube.com/watch?v=UYeh1xbehzY

Also, nachdem wir jetzt wissen, in welchem Future-Look-Alike Möbiliar (man hört die Frau noch rufen: „Geeehhhrrrd“ geh´ mit Deinen Kollegen bloß in den Keller! Da höre ich das elende Gequake nicht!“) die Anzeige eventuell entstanden ist gehen wir zurück zur Frage:

Wie schreibe ich eine Stellenanzeige Grundkurs 1, Erste Stunde:

Irgendwo da draußen gibt es Menschen und keine Idioten, die einen Job suchen. Und es gibt einen noch viel kleineren Kreis von Menschen, die einen Job suchen UND die Kenntnisse und Fähigkeiten besitzen, die mein Unternehmen braucht, um eine Stelle zu besetzen. Eine Stellenanzeige soll diese Menschen ansprechen und sie motivieren sich zu bewerben, damit wir einen geeigneten Mitarbeiter (m/w/d) finden. Das geht, indem wir sie zielgruppengerecht formulieren, verständlich darstellen was und wen wir suchen und uns gleichzeitig als attraktiven Arbeitgeber präsentieren. Sie soll ferner eine Identifikation mit dem Unternehmen herstellen und durch ein klar dargestelltes Anforderungsprofil vermeiden, dass sich Personen bewerben, die dieses Profil nicht erfüllen. Gleichzeitig stellt sie eine Grundlage für das anschließende Auswahlverfahren dar. Ein Auswahlverfahren soll valide feststellen, ob die beschriebenen Anforderungen von der sich bewerbenden Person erfüllt werden. Idealerweise entspricht die Anzeige noch aktuellen werbepsychologischen Kenntnissen hinsichtlich Layout und Design.

Ich überlege gerade, ob ich mir ein agiles Bewerbungsgespräch mit „Hands-On!“ Mentalität bei diesem Arbeitgeber vorstellen soll.

Aber nein, ich lass´ es lieber.

Herzliche Grüße, Ihre

Silke Wöhrmann

Addendum zur Autorin von der Redaktion (Norbert W. Schätzlein):

Auf Silke Wöhrmann wurde ich durch ihren genialen Beitrag „Mit 20 zu jung, mit 30 zu schwanger, mit 40 zu teuer, mit 50 zu alt. Die Qualen der Personalentscheider“ aufmerksam.

Zur Person:

Silke WöhrmannDipl.-Kfm., ist Personalentwicklerin und Hochschuldozentin im Bereich Führungs- und Personalpsychologie /–management. Ihre Expertise erwarb sie sich über leitende Positionen im Bereich Personalentwicklung und Personalmarketing. Aktuell arbeitet sie als Coach, Führungskräftetrainerin, Beraterin und Autorin. Als Gründerin und Geschäftsinhaberin der APT Human Management setzt sie sich zum Ziel, neue Konzepte, Strategien und Ideen im Human Resources Management zu entwickeln und zu etablieren. Kontakt: info[et]apt-woehrmann.dehttp://www.apt-human-management.de.

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