Wenn Mitarbeiter ihre Vorgesetzten führen.

Führung bedeutet doch, über Vertrauen und Wertschätzung gemeinsam mit Mitarbeitern Ziele zu erreichen. Doch immer wieder zeigt die Realität: Das ist eher Traum als Wirklichkeit. Besonders in Berufen, in denen die Mitarbeiter wissen, dass sie überall einen Job bekommen, ist ein Verhalten entstanden, das ich „erlernte Verweigerungshaltung“ nenne. Führungskraft, Du machst nicht, was ich sage? Dann kannst Du morgen mit einer Krankmeldung rechnen. Oder ich kündige. Dann kannst Du sehen, wo du bleibst.

Der Haken der Fachliteratur

Die Fachliteratur zum Thema Führung hat einen großen Haken: Sie geht immer davon aus, dass Führungskräfte sagen und die Mitarbeiter tun. Vielleicht nicht immer sofort. Vielleicht nicht in der gewünschten Qualität oder Quantität. Aber im Großen und Ganzen trifft es den Kern.

Mitarbeiter an die Macht!?

Dabei sieht es in vielen Unternehmen ganz anders aus, die Mitarbeiter scheinen die Macht zu haben. Was, ich bekommen keinen Urlaub? Ich muss länger arbeiten? Warum sollte ich mehr tun als ich muss? Ich bekomme dann doch nicht mehr Geld.

Hilfe, Change!!

Und wenn dann so etwas kommt wie Change oder Digitalisierung, dann ist es ganz vorbei. Umstellungen im Kopf, in den seit Jahren routinierten Abläufen? Geht gar nicht. Dann wird ganz einfach: verweigert. Und zwar so lange, bis das Projekt platzt. Egal, ob das Millionen in die Digitalisierung geflossen sind. Egal, ob die Mitarbeiter, die noch motiviert sind etwas zu bewegen, gegen Beton-, nein Stahlwände laufen und dann auch irgendwann aufgeben. Im Vordergrund steht das Denken: Hauptsache, ich muss nicht mehr arbeiten als unbedingt erforderlich.

Natürlich, das ist klar: Nicht alle Mitarbeiter sind so. Aber es scheint sich die gelernte Verweigerungshaltung da zu etablieren, wo

  1. Kündigungen eher unwahrscheinlich sind (Behörden etc.)
  2. Hoher Personalmangel besteht. Gesundheitswesen, IT…

Gib mir mehr Geld!

… und mehr Freizeit! Ich will selbst entscheiden! Sorge für meinen Wohlfühlfaktor (Stichwort „Feel-Good-Manager“). Ich mache sooo viel und verlange doch soooo wenig! Es steht mir zu!

Und dann, wenn man wirklich darauf eingeht, zeigt sich: Es bringt nix. Trotzdem nöhlen sie, die Verweigerer. Trotzdem beschweren Sie sich über den „Sauladen“, in dem sie arbeiten. Trotzdem meckern sie penetrant über die heftigen Arbeitsbedingungen, so dass gar keiner mehr etwas Positives sagen mag.

Ein gefährlicher Kreislauf entsteht.

Die Führungskraft wird zum Dienstleister seiner Mitarbeiter. Nix mit gemeinsam an einem Strang und so.  Sie sagen ihm, was er zu tun hat. Und wenn er nicht spurt, dann ist Erpressung das Mittel der Wahl. Du willst nicht, wie ich es will? Na, dann, Du wirst schon sehen! Und – Schwupps! – ist am dritten Tag (und keinen Tag früher) der gelbe Schein da.

Das Führungsbuffet

Auf der anderen Seite müssen sich Führungskräfte natürlich auch fragen, ob sie nicht selbst Teil dieses Führungsbuffets geworden sind. Das Führungsbuffet ist die Anrichte gefüllt mit Angeboten an die Mitarbeiter: Obstkörbchen, Benefits, Sonderzahlungen, kleine Aufmerksamkeiten, Kuchen zum Geburtstag. Nicht falsch verstehen, das ist alles schön und gut – solange es auch wahrgenommen und wertgeschätzt wird.

Trotzdem müssen sich Führungskräfte fragen, ob sie nicht selbst Teil des Problems sind. Ob sie diese Situation nicht auch selbst gefördert haben – schlichtweg dadurch, dass keine klare Linie gefahren wird, keine Werte vereinbart, keine Anforderungen definiert, keine Lust am Lernen unterstützt, keine Innovationen umgesetzt wurden, Gesagtes nicht getan und Getanes nicht gesagt wurde. Beobachtbar ist auch. dass manche Führungskräfte sich in ihrem Verhalten dem ihrer Mitarbeiter sogar anpassen. Sie beschweren sich zwar über deren Verweigerungshaltung, aber wenn dann mal Themen wie Change oder Digitalisierung kommen stehen sie auch nicht gerade in vorderster Reihe. Auch sie nöhlen, ärgern sich. Wollen mehr Geld. Mehr Freizeit. Weniger Arbeit.

Leistung???

Die einzige „Waffe“, die Führungskräften gegenüber Mitarbeitern vermeintlich haben und einsetzen ist dann der Verweis auf den Arbeitsvertrag, in dem doch alles drinsteht. Die Arbeitszeiten. Die Verpflichtung zur Leistung.

Ach ja, Leistung. In den meisten Leitlinien der Firmen steht alles Mögliche, nur nicht Leistung. Auch wenn sie es doch eigentlich meinen: Niedergeschrieben ist es nicht. Vielleicht, weil sich Geschäftsführer denken, dass das doch klar und selbstverständlich sein sollte. Ist es aber nicht.

Leistung wird bei Mitarbeitern mit Verweigerungshaltung definiert als das Abarbeiten von Aufgaben. Wiesooo?? Ich mache doch meinen Job!

Nicht mehr, nicht weniger. Und wehe, es kommt eine neue Aufgabe hinzu. Dann wird als erstes gefragt, ob man dafür nicht mehr Geld bekommt.

Erlernte Hilflosigkeit

Ganz schlimm wird es, wenn neben der erlernten Verweigerungshaltung noch die erlernte Hilflosigkeit dazu kommt. Ein Beispiel, direkt aus dem Leben gegriffen: Eine Mitarbeiterin hat sich beschwert, dass sie auf ihren vielen Wegen und Fahrten nicht erreichbar ist. So kann sie leider ihre Arbeit in der vereinbarten Zeit nicht erledigen. Sie bekommt ein Handy gestellt. Nach vier Wochen wurde sie gefragt, warum sie ihr Handy nicht benutzt. Antwort: Es wäre ja keiner da gewesen, der ihr gezeigt hätte wie es geht. Wunderbar. Diese Mitarbeiterin hat es ´raus. Wenn Verweigerung nicht hilft, wird der Joker Hilflosigkeit gezückt, der immer noch im Ärmel steckt. Ich kann nicht, weiß nicht, es zeigt mir ja niemand. (Für Kritiker: Sie hat nicht einmal gefragt, ob man ihr helfen könnte.).

Was ist zu tun?

Naja, als erstes ein wahres und kein mythologisches Denken über Motivation. Führungskräfte sollen jemanden, der nicht will, dazu motivieren, dass er will? Das ist ein so hehres Ziel, wie soll das gehen, wenn man nicht erpressen, bestechen, locken oder zahlen will? Es ist doch das Blöde an der Motivation: Wir setzen es immer mit Leistung gleich. Dabei können Menschen auch furchtbar gut motiviert sein, etwas nicht zu tun.

Es gibt nur eine Lösung, sorry: Diese Mitarbeiter entlassen. Und die frei werdenden Stellen mit intrinsisch motivierten Menschen besetzen. Und dann: Diese intrinsische Motivation erhalten – mit einer klaren „Leadership Journey“*, einem für Mitarbeiter einschätzbaren Weg der Führung. Von der Vereinbarung von Werten und Zielen über Förderung, transparenten Entscheidungen und nachhaltiger Kontrolle die mittelfristig zur Selbstkontrolle seitens des Mitarbeiters aufgrund seiner verantwortlichen Selbständigkeit und seinem Wissen wird.

Dagegen!

Jetzt kommt das Argument: Wenn ich sie entlasse, bekomme ich keine Neuen mehr! Ja, und genau das ist es, was die Mitarbeiter mit Verweigerungshaltung spüren und für sich nutzen. Man kann es ihnen (vielleicht, sogar) nicht ganz verdenken. Diese Zurückhaltung in Sachen Konsequenz bedeutet für Verweigerungsmitarbeiter Schwäche und öffnet Tür und Tor zum permanenten Angriff auf die Autorität der Führungskraft.

Mit anderen Worten: Ran! und das Übel bei der Wurzel packen und in eine gute Personalauswahl und –ausbildung in den eigenen Reihen investieren. Nicht darauf warten, bis der Staat was macht oder bis der Markt einem den perfekten Mitarbeiter ausgebildet, schön, jung, gesund und motiviert zur Verfügung stellt. Nicht einfach jeden von der Straße klauben, der bis 3 zählen kann, Hauptsache, die Stelle ist besetzt.

Klare Anforderungsprofile erstellen und kommunizieren: Was erwarte ich von Dir? (Die meisten Mitarbeiter wissen das nämlich gar nicht und interpretieren ihre Aufgabe dann selbst). Klar sagen was passiert, wenn diese Erwartungen nicht erfüllt werden: Erstens, Zweitens, Drittens. Und dann noch: Auch wirklich umsetzen, was man sagt. Sonst wird man zum Honk, zum Schmunzelobjekt in den Küchen dieser Welt.

Was gelernt wurde, kann auch wieder verlernt werden

Manch einer, der eventuell selbst nicht mehr ganz so taufrisch motiviert ist, denkt: Ok, wenn ich das so mache, dann sind die Straßen Deutschlands bald voll mit Arbeitslosen. Nein. Mitarbeiter haben diese Verweigerungshaltung gelernt, sie wurden nicht damit geboren. Was gelernt wurde, kann auch wieder verlernt werden. Jedenfalls in den meisten Fällen.

Autorin

Silke Wöhrmann, Dipl.-Kfm., Personalentwicklerin, Coach, Führungskräftetrainerin und Personalentwicklungsberaterin, Autorin, Lehrbeauftragte für  HR Digital Personalmarketing & Rekrutierung, Personalpsychologie/Eignungsdiagnostik, Social Skills, Führung an Hamburger Hochschulen. Gründerin und Geschäftsinhaberin APT Human Management., Partner Competence Center Digitale Personallösungen.

Ihr direkter Kontakt zur Autorin: info@apt-woehrmann.de

Anm: Alle „männlichen“ Ausdrücke beziehen natürlich alle Geschlechter mit ein.

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